Askese: Selbstschulung vom Feinsten und Reise zu Dir selbst

Askese ist keine brutale, Selbsthaß aufzeigende masochistische Persönlichkeitsstörung. Askese ist ein durch und durch gesundes menschliches Bedürfnis, das uns immensen Nutzen bringen kann. Sofern wir sie mit den richtigen Motiven und umsichtig durchführen. Askese ist Selbstliebe. Fragen, Antworten, zwei Beispiele, eine Aufforderung.

Welchen Sinn hat Askese?

Askese ist Arbeit an sich selbst und damit ein wichtiges und mächtiges Werkzeug der Selbstschulung und damit Selbstprägung. Jegliche Form der Meditation, der mentalen Einstimmung, des körperlichen Trainings dient uns, unsere Grenzen weiter zu stecken, unsere Fähigkeiten zu erweitern, die Welt umfassender und chancenreicher wahrzunehmen. Um dadurch glücklicher weil bewusster und selbstbestimmter zu leben.
Askese ist ein Mittel, Erwünschtes zu steigern oder zu erreichen und Unerwünschtes zu reduzieren oder gar ganz zu beseitigen. In der Askese fokussieren wir uns auf die konzentrierte Anwendung dessen, was wir als Teil unseres idealen Selbst (Idealbild) betrachten. Gleichzeitig vermeiden oder reduzieren wir, was uns von unserem idealen Selbst trennt.

Nach Prof. Dr. Dr. Raphael M. Bonelli bewirkt Askese:
Kopf – wird geordnet – Innere Ordnung
Herz – wird gestärkt – Selbsttranszendenz
Bauch – wird kultiviert – Beziehungsfähigkeit

Was ist überhaupt Askese?

In der Askese unterlassen wir ganz bewusst Handlungen, Gedanken oder Gefühle, die uns von etwas abhalten, das uns schadet. Damit machen wir uns frei für das, was uns viel wichtiger ist als die Vorteile, die uns das Schädigende gebracht hat. Askese kann als Heilung im Sinne von Weiterentwicklung hin zum Idealbild verstanden werden.

Askese muss deshalb immer Mittel zum Zweck sein. So bald sie zum Selbstzweck wird, ist der Übergang zum Krankhaften (Pathologischen) fließend.

Frei nach Johann Heinrich Pestalozzi können wir uns fragen:
Wofür willst Du Dich frei machen?
Und nicht: Wovon willst Du Dich befreien?

Denn die Freiheit von Dingen und Umständen kommt automatisch, wenn wir uns für das Wesentliche frei machen.

Wann wird Askese gefährlich?

Askese wird dann gefährlich, wenn

  • sie nicht aus freien Stücken gehalten wird. Egal, ob von einem „Guru” angeordnet oder vom eigenen (schlechten) Gewissen.
  • ein innerer Zwang sie ausführen lässt.
  • durch sie Leidensdruck entsteht.
  • sie dazu dient, sich selbst seine Minderwertigkeit, Unzulänglichkeit, Empfindlichkeit oder Wehleidigkeit zu beweisen.
  • sie als Selbstzweck ausgeführt wird. Bedeutet: ohne das Ziel der Selbstschulung.

Hier ist die Selbstbeobachtung entscheidend. Zu erkennen, wann der Kontrollverlust beginnt und wir die Askese nicht mehr als Wohltat erleben. Im Rausch der Gefühle, Erfahrungen und Erkenntnisse ist es während der Askese einfach, sich selbst zu schädigen. „Mäßigung nach Maß” kann uns vielleicht als achtsame Regulation der Askese-Übung dienen.

Zu echter Askese entscheiden wir uns frei (so frei es unser Bewusstsein als Freiheit begreift), was wir bewusst lassen und entscheiden ebenso frei, was wir bewusst verstärken und wessen wir uns widmen.

Rücken wir durch Askese unsere Grenzen weiter?

Wer sich selbst erprobt und dadurch seine Grenzen weiter steckt, der kann immer wieder auf diesen erweiterten Handlungs-, Denk-, und Gefühls- und Transzendenzraum zugreifen. Auch wenn sich diese Fähigkeiten im Alltag oft nur durch langjährige Übung oder auch gar nicht – wie in metaphysischen Erlebnissen – installieren lassen. Das frustriert viele. Dazu gleich mehr.

Zunächst ein Beispiel:

Eine Frau Mitte 40 beginnt mit Jogging. Sie ist hoch motiviert und konsequent. Sie verfällt nicht, wie die meisten, nach ein paar Wochen Trainings in die Bequemlichkeitsfalle und lässt das Training aus dubiosen Gründen immer mehr schleifen, bis sie es ganz einstellt. Nein. Sie läuft regelmäßig drei bis vier Mal die Woche eine halbe Stunde. Nach einiger Zeit erweitert sie mit Mühen auf jeweils eine Dreiviertel Stunde. Einfach weil sie so viel Spaß am Laufen hat und gerne länger laufen würde, dafür vielleicht seltener pro Woche. Doch hält sie diese Steigerung nicht durch und bleibt bei 30 Minuten frustriert hängen. Mittlerweile läuft sie schon seit zwei Jahren und versteht nicht, wieso sie nicht länger laufen kann. Sie hat keine Atemprobleme, Herzrasen oder irgendwelche Schmerzen. Kopfsache könnte man jetzt sagen. Ja, natürlich, doch damit ist ihr nur nicht geholfen.

Was kann sie tun?

Sie kann bewusst in die Askese gehen und durch Selbstschulung ihre Grenze erweitern. Damit zeigt sie sich und ihrem Körper, zu was sie fähig ist. Dazu läuft sie ein einziges Mal eine ganze Stunde in ihrem gewohnten Tempo. Nur ein einziges Mal. Sie bereitet sich zwei Wochen darauf mental vor und stellt sich bei jedem Lauftraining vor, wie es dann sein wird, wenn sie diese Stunde läuft. Gesagt getan. Sie zieht das Ding durch.

Und was sagte sie danach?

„Unglaublich! Es ist mir leicht gefallen. Mir war zu jeder Minute klar, wie weit ich laufen wollte. Als ich bei der Hälfte, nach 30 Minuten, war, fühlte ich mich wie nach 15 Minuten in meinem normalen Training. Jetzt aufhören? Warum? Es läuft doch so gut!”
Seitdem läuft sie regelmäßig 45 Minuten ohne Probleme. Von Zeit zu Zeit schiebt sie einen 1,5 Stundenlauf ein. Nicht, um sich in eine endlose Leistungsspirale zu treiben. Nein, einfach nur um sich selbst ihr eigenständiges, selbst auferlegtes Weiterstecken ihrer Grenzen als machbar zu zeigen. Und – was ihr eine ganz besondere Erkenntnis ist – : „Ich fühle mich bei meiner 45 Minutenrunde viel fitter und lockerer als damals bei den 30 Minuten. Ich kann viel freier und mit mehr Spaß mit meinem Tempo spielen. Seitdem fühle ich mich überhaupt viel kraftvoller und agiler!”

Zum Frust: Vorsicht vor überhöhten Erwartungen

Askese ist kein Allheilmittel. Es ist vielmehr ein Instrument, das uns begleitet und uns an uns selbst reifen lässt. Auch wenn wir die immer selbe Askese-Übung absolvieren, ist ihre Wirkung jedoch niemals die selbe. Allenfalls gleicht sie dieser. Denn wir selbst sind niemals der Selbe. Panta rhei auch hier. Alles ist im Fluss, da sich alles immer ändert. Nichts bleibt jemals gleich. Und so können wir gerade erst durch die Wiederholung der immer selben Askese-Übung uns weiterentwickeln. Jede Übung baut auf die vorherige auf. Meist unbewusst erkennen wir dies oft erst nach Tagen, Wochen oder gar Monaten. So ergeht es regelmäßig meinen Kunden. Oft sind sie zu einem Feedback im unmittelbaren Anschluss nach einem Coaching nicht fähig oder nicht willig. Manchmal bekomme ich erst nach Monaten Rückmeldung. Einfach, weil meine Kunden immer und immer wieder Veränderungen feststellen, die eben erst später eintreten.

Allein den Dingen Zeit zu geben ist – mittlerweile! – eine Form der Askese

Das moderne Streben nach schnell verfügbarer und leicht zu erlangender Befriedigung, führt uns von unseren herausragendsten Fähigkeiten weg. Doch ist das ein modernes Problem? Ich glaube nicht. Zu allen Zeiten gab es Menschen, die sich nach Selbstentwicklung sehnten und alles mögliche dafür ausprobierten. Wovon wir heute profitieren. Die breite Masse hatte dafür keinen Stern.

Sicherheit, Planbarkeit und Ordnung. Danach wird heute allen Orts gerufen. Nur diese Dinge kann uns niemand geben. Wir können sie nur selbst in unserem Leben installieren.

Mäßigung heißt: in sich selbst Ordnung verwirklichen.
Josef Pieper

Wir brauchen nach Josef Pieper Ordnung in:
Emotionen, Dinge, Gedanken, Beziehungen, Wertehierarchie, Prioritäten, Zeitmanagement, Zielen

In sich Ordnung zu haben heißt, Platz zu schaffen für die wichtigen Dinge, nach welchen wir einmal unser Leben bewerten werden. Askese hilft, durch Mäßigung das Leben in den Griff bekommen.

Wahre Askese ist ein Zeichen von Freiheit

Wahre Askese entsteht immer aus der Freiheit heraus und vergrößert die Freiheit. Nur wer sich im Stande fühlt, bewusst Dinge abzuwählen, sich frei zu machen für das, was für ihn wirklich zählt, der ist wirklich frei. Sonst haben ihn die Dinge und nicht er hat die Dinge.

Meine Selbsterfahrung mit Askese

Seit sehr vielen Jahren schon unternehme ich „Hungertouren”. Sie dauern von einem Tag bis zu drei Wochen. Sommer wie Winter. Zu hause in den Nordalpen, in der Tundra, in Gebirgen weltweit oder der Wüste. Dabei esse ich überhaupt nichts oder nur sehr wenig von speziell ausgewählten und selbst zubereiteten Nahrungsmitteln. Z.B. aß ich dieses Jahr in Island während sieben Tagen bei sehr viel Regen, noch mehr Wind und kaum Sonne 1 kg Linsen, 1 kg Nüsse, 1 kg Trockenpflaumen und Rosinen sowie vier Zwiebeln. Bei Tagesetappen von 15 bis 25 km Luftlinie in wegloser Vulkanasche, Geröll und tiefem Moos.
Dabei achte ich auf leichtes Gepäck, das nicht immer vollständig ist. So verzichtete ich bei Regenwetter auf ein Zelt, auf Schuhe bzw. wärmende Schuhe bei Kälte oder für zwei Wochen auf einen Kocher, obwohl es bei Kälte und Schnee kein Brennmaterial gab, schlafe auf hartem, buckligen Untergrund auch mal im Schlafsack aus dem das Wasser rinnt.

Wieso tue ich das?

„Leerer Bauch macht´s Hirn frei” ist meine Erfahrung und mein Credo auf diesen Touren. Ich erlebe sie als Reisen zu mir selbst. Ich unternehme sie, wenn ich das Gefühl habe, ein weiterer Entwicklungsschritt steht für mich an. Und dann gehe ich für Tage oder Wochen auf diese Reise zu mir selbst: Eine sehr ausgedehnte Wanderung durch die Natur. Unbelastet von Alltagsroutinen, die Gedanken vernebelndes Essen und in der großen, befreienden Natur umherziehend, nehme ich mich intensivst wahr. Ich fühle und denke, was ich sonst nicht fühle und denke. Ich ziehe Schlüsse, auf die ich sonst nicht komme. Diese Zeiten klingen immer lange nach und befruchten spürbar meine Fähigkeiten und meinen Weg.

Körperlich bin ich danach immer ultra-fit. Ich bin kräftiger, geschmeidiger, belastbarer, agiler, leichtfüßiger, kann besser balancieren, friere weniger, bin hitzetoleranter, mein Herz schlägt besonders kraftvoll und ruhig, ich atme vollständiger. Ja und auch das Körperfett wird weniger. Doch sind die Fettzellen nach wenigen Tagen auch wieder aufgefüllt. Um abzunehmen so etwas zu tun, ist Nonsens. Allerdings kann ich trotz über 20 Jahren Erfahrung keinerlei Jojo-Effekt beobachten. Ich wiege seit dieser Zeit exakt gleich. Vielleicht, weil das Fett im Bewusstsein für einen höheren Zweck verbrannt wurde, der nur durch aktivste Bewegung und unerlässliche Wärmeproduktion erreicht werden konnte und nicht rein durch Abhungern. Wer weiß…

Ist das nicht gefährlich?

Das Gefährlichste bei einer Natur-Reise ist die An- und Abreise. Es ist gefährlicher die Tour nicht zu tun, denn das hat seelische Konsequenzen für mich und alle die mit mir zu tun haben. Das lässt sich nicht in Unfallzahlen messen.

Ich kann Dir so eine Reise zu Dir selbst nur empfehlen

Unternimm eine sehr lange Wanderung. Allein. Iss wenig, friere, schwitze. Trinke nur manchmal, dafür ausgiebig. Liefere Dich Deinem Weg und der Reise aus und plane sie nicht vollständig.
Im „Selbstlernkurs Urkraft” findest Du weitere Ideen für eine Askese-Reise.

Grundsätzlich empfehle ich nur, was ich selbst bereits mehrfach ohne jeglichen Schaden getan habe. Was nicht heißt, dass es jeder auf Anhieb kann und für jeden geeignet ist. Sorry, dies hier ist leider notwendig: Der Haftungsausschluss unten stehend gilt in jedem Fall.

Wir machen den Sack zu: Ist es nicht gefährlich, Askese als Selbstliebe zu bezeichnen?

Wer sich selbst liebt, der will sich selbst und seinem wahren Auftrag so nah als möglich kommen. Alles was ihn davon abhält, dessen will er sich entledigen, damit er sich seinem Auftrag voll widmen kann. Um zu glauben, einen Auftrag zu haben, muss man sich zumindest mögen.
Deshalb empfehle ich Dir auf Deiner Askese-Reise Dich in Gedanken und mit Deinem Herzen mit diesem Thema hier zu befassen:

Auf zur gelebten Lebensvision, Deinem Idealbild: Meditation in der Askese

In der Askese werden durch die betont anderen und polareren Verhaltensweisen zu unserem Alltag andere Hormone ausgeschüttet. Diese ermöglichen uns in andere Fühl- und somit Denkdimensionen vorzudringen: eben in metaphysische bis transzendente Bereiche. Damit ist es uns möglich, weit tiefer, vollständiger und aufrichtiger gegenüber uns selbst zu unseren Urwünschen und damit zu unserem Idealbild von uns selbst vorzudringen.
Frage Dich:

  • Über welches Thema informierst Du Dich gerne und völlig ungezwungen?
  • Welche Themen begleiten Dich schon Dein Leben lang?
  • Worüber informierst Du Dich, auch ohne Anerkennung oder Geld zu bekommen?
  • Über was könntest Du aus dem Stegreif einen Ratgeber schreiben?

 

  • Was wurde Zeit Deines Lebens an Dich herangetragen? Erkennst Du Muster?

 

  • Was fällt Dir besonders leicht?
  • Bei was vergisst Du völlig die Zeit?
  • Was kannst Du Dir spielend merken?
  • Welche Handlungen oder Verhaltensweisen machst Du sofort nach?
  • Worüber könntest Du Dich stundenlang unterhalten?
  • Welche Idee würdest Du gerne umsetzen?

 

  • Was denkst Du, fehlt in dieser Welt?

 

  • Über was kannst Du Dich tierisch aufregen?
  • Was regt Dich bei älteren Menschen auf?

 

  • Wie verbringst Du Deinen Urlaub?
  • Wovon träumst Du, wenn Du dir vorstellst einmal ganz viel Zeit zu haben?

 

  • Worüber tagträumst Du?
  • Welche Bilder hast Du als Kind gemalt?
  • Welche Rollen nahmst Du im freien Spiel ein?
  • Wer warst Du in den Vorstellung Deiner Kindheit: „Wenn ich einmal groß bin…”

 

Haftungsausschluss
Hast Du grundsätzlich die Neigung zu Borderline-Persönlichkeitsstörung, körperdismorphen Störungen, Essstörungen oder gar Bulimie oder Ähnliches, empfehle ich Dir dringend vor dem Selbstversuch Deinen Arzt zu befragen, ob Dir die Askese als Form der Selbstschulung gut tut.
Ausdrücklich übernehme ich keinerlei Haftung für Schäden jedweder Art für alles, was ich hier beschrieben oder empfohlen habe. Alles was Du tust, tust Du freiwillig und auf eigene Gefahr.

 

Gute Zeit & Viele Grüße!

Jörg Romstötter

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Meine Hilfestellungen zur Selbstführung und damit zur Führung anderer, erscheinen nicht immer leicht in ihrer Umsetzung. Wobei sie sich gerne offenkundig plausibel, „einfach” und eingängig lesen. Diese Vorgehensweisen, werde in ihrer Umsetzung sowohl als äußerst einfach und äußerst schwierig empfunden. Je nachdem, welche Qualität innere „Arbeit” jemand schon mit sich angestellt hat. Selbstführung beginnt mit der Selbst-Begegnung. Ohne sie ist jede erlernte Vorgehensweise lediglich vordergründiges Tun und funktioniert nur rudimentär: Wir werden als „Tool-Anwender” entlarvt.

Selbst-Begegnung ist ein Stufenprozess: Wer eine „Stufe” erreicht hat, sieht sich unmittelbar mit der nächsten konfrontiert. Wer keine „Stufen” erkennt, ist nicht etwas schon „angekommen” oder gar „fertig”. Der sieht lediglich (unbewusst) von der nächsten Stufe weg. Was natürlich auch völlig ok ist.

Eine der wirksamsten Möglichkeiten zur Selbst-Begegnung und gleichzeitig zur Selbstführung ist seit jeher die Natur. Und dabei im Besonderen das Alleinsein draußen. Sich selbst ein wenig zuhören inmitten der weitenden, klärenden, stärkenden und erdenden Natur, ist ein ganz besonderes Geschenk. Ich wünsche Dir und mir den Mut, dass wir uns dieses Geschenk immer wieder machen.