Persönlichkeit entsteht durch Feedback

Wie wir uns selbst in der Welt wahrnehmen, konkretisiert sich durch die Reaktionen, die wir bei anderen mit unserem Tun auslösen. Wir haben von uns ein Selbstbild und ein Idealbild. Beides fügt sich zu unserem Selbstkonzept zusammen. Ohne adäquaten Austausch mit anderen ist unser Selbstbild gefährdet und kann zerfallen. (Robinson-Syndrom)

Das Beispiel eines Mannes, der mit beiden Beinen im Leben stand, lässt uns aufhorchen:

Der Mittvierziger ist Führungskraft in einem mittelständischen Unternehmen, ist glücklich verheiratet und hat drei gesunde Kinder im Grundschulalter. Er hat Freunde und fühlt sich gesellschaftlich angekommen. Er ist sportlich in verschiedenen Bereichen aktiv. Trotzdem kämpft er mit seinem Gewicht. Er reist gerne und häufig mit der Familie und allein.

Durch ein Ereignis, das er nicht beeinflussen konnte, verliert er seinen gut bezahlten Job. Zunächst sieht er das nicht als Problem, ja er schätzt sogar die unerwartete Auszeit. Er hatte ohnehin überlegt, ob eine Neuorientierung nicht ohnehin seine Leidenschaft für den Beruf sowie seine Karriere neu beflügeln könnte. Die Monate vergehen, er genießt die nun üppig vorhandene Zeit mit seiner Familie, sportelt häufiger, belegt kurzerhand eine Fortbildung und auch für eine Solo-Reise mit dem Motorrad findet er Muße.

Doch beginnt es sich zu ziehen mit dem neuen Job. Zunächst sah es sehr gut aus und er wollte bereits als Partner in einer Firma einsteigen. Dies zerschlug sich dann aber doch. Die viele Zeit mit sich und seinen Gedanken beginnt ihm lange zu werden. Das finanzielle Polster schrumpft. Die Gesprächsthemen drehen sich ausschließlich um familiäre Dinge oder Hobbys. Sein Interesse an Vereinsaktivitäten und Hobbys beginnen zu schwinden. Auch versiegt die Lust auf kleine und größere Motorradtouren, da diese Aktivitäten nun nicht mehr den bereichernden und befriedigenden Ausgleich zu seinem Beruf bieten. Trotz sportlicher Aktivität, bewusster Ernährung und ohne jeglichen Überkonsum von Alkohol bleibt sein Kampf mit den Pfunden.

Sein Selbstkonzept beginnt sich zu verändern. Das Bild das er nun von sich hat (Selbstbild) sieht er in nun zunehmender Abweichung vom Bild, das er gerne von sich hätte (Idealbild). Zweifel schleichen sich ein. Und zwar in fast allen Lebensbereichen: Er hinterfragt seine Fähigkeiten als Vater, empfindet sich nicht mehr als Mann den eine Frau gerne an ihrer Seite hat, die Interessen und Themen seiner Freunde erscheinen ihm wie aus einer anderen Welt. Als mühsam empfindet er seine Welt und sein Leben.
Immer wieder überfallen ihn nun Sorgen und Ängste. Findet er noch jemals einen Job? Braucht ihn denn niemand? Muss er sein Haus verkaufen? Wie kann er seine Kinder bei einem guten Start ins Leben unterstützen? Wie lange will und kann seine Frau die Mehrbelastung schultern? Wie soll er fürs Alter vorsorgen können?
Er verbringt melancholische Stunden, depressive Episoden stellen sich ein. Er stellt fest, schon länger nicht mehr herzhaft gelacht zu haben.

Was fehlt dem Mann?

Seine Persönlichkeit bekommt nicht mehr die Modellierung seines Selbstbildes, die ihm seine Rolle als Führungskraft geboten hat. Eine wichtige und ganz normale Säule unseres Selbstkonzeptes. Der Mann hat sich selbst und anderen bewiesen, eine erfolgreiche Führungskraft zu sein. Das ist auch ein Teil seines für ihn realen Selbstbildes und Idealbildes. Er läuft also keinem unrealistischen Hingespinst nach. Er weiß, er kann das und kann das sein. Und – wichtig! – er will dies auch sein. Doch er bekommt dieses Wissen in seinem Alltag nun nicht mehr bestätigt. Sein Selbstkonzept erhält an dieser Stelle keine Resonanz und läuft ins Leere.
Wie bei einem Fass mit Loch läuft das Wasser an genau dieser Stelle aus, egal wie dicht das Faß an allen anderen Stellen ist und egal, wie viel Wasser nachgefüllt wird.

Was sollte der Mann tun?

Der Mann sollte seinen Fokus auf die Befriedigung seiner Urmotivationen legen: sich als wirksam erleben, Geltung und Entwicklung. Das bedeutet, die aktive Suche nach einer neuen Anstellung oder Selbständigkeit sollte oberste Priorität sein. Er muss gut prüfen, ob eine Scheinwirksamkeit, wie er sie durch ehrenamtliches Engagement, Übernahme der Rolle des Hausmannes, exzessive Hobbys durchaus erreichen kann, seinem Idealbild von sich entspricht. Sonst bestätigt er sich zwar Aktivität, Leistungsfähigkeit, Wirksamkeit, positives Feedback und Anerkennung, doch befriedigt er damit wohl kaum sein Selbstbild, das sich erst durch den Beruf vervollständigt. Denn er braucht die Resonanz seines Umfeldes, die ihm das Gefühl gibt, mit seinem Tun seinem Idealbild täglich ein Stück weit näher kommen zu können. Erst dann ist seine Persönlichkeit vollständig.

 

Gute Zeit & Viele Grüße!

Jörg Romstötter

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Meine Hilfestellungen zur Selbstführung und damit zur Führung anderer, erscheinen nicht immer leicht in ihrer Umsetzung. Wobei sie sich gerne offenkundig plausibel, „einfach” und eingängig lesen. Diese Vorgehensweisen, werde in ihrer Umsetzung sowohl als äußerst einfach und äußerst schwierig empfunden. Je nachdem, welche Qualität innere „Arbeit” jemand schon mit sich angestellt hat. Selbstführung beginnt mit der Selbst-Begegnung. Ohne sie ist jede erlernte Vorgehensweise lediglich vordergründiges Tun und funktioniert nur rudimentär: Wir werden als „Tool-Anwender” entlarvt.

Selbst-Begegnung ist ein Stufenprozess: Wer eine „Stufe” erreicht hat, sieht sich unmittelbar mit der nächsten konfrontiert. Wer keine „Stufen” erkennt, ist nicht etwas schon „angekommen” oder gar „fertig”. Der sieht lediglich (unbewusst) von der nächsten Stufe weg. Was natürlich auch völlig ok ist.

Eine der wirksamsten Möglichkeiten zur Selbst-Begegnung und gleichzeitig zur Selbstführung ist seit jeher die Natur. Und dabei im Besonderen das Alleinsein draußen. Sich selbst ein wenig zuhören inmitten der weitenden, klärenden, stärkenden und erdenden Natur, ist ein ganz besonderes Geschenk. Ich wünsche Dir und mir den Mut, dass wir uns dieses Geschenk immer wieder machen.