Manchmal passiert es: da begegnet man Menschen, die Souveränität ausstrahlen. Sie füllen den Raum mit ihrer Präsenz, wenn sie reden wird zugehört. Man spürt Charisma.
Ich frage mich nur, wieso sind das so wenige? Insbesondere so wenige Führungskräfte. Gerade diese sollten doch das Gefühl wecken „ja, Dir folge ich gerne“.
Kann es sein, dass vielleicht nicht die Führungskräfte diejenigen sind, welche die Leute führen oder vielleicht sogar mal treiben. Sind nicht eher die Führungskräfte die Getriebenen? Im Dauerstress zwischen all den Fach-, Führungs-, Verwaltungs- und Strategieaufgaben?
Ja, ich weiß, ein altes, ewiges Dilemma.
Bloß muss das so sein? Ich meine nein. Mir scheint, als sei eine sehr weit verbreitete Krankheit schuld: die Nichtabgrenzeritis. Da wird von Termin zu Termin gestolpert, erscheint dann noch mäßig vorbereitet, ist hier zu spät und da im Verzug. Kommt dauernd zu spät nach Hause und findet doch Zeit, sich von Nervensägen die Zeit stehlen zu lassen.
Nur woher kommt das Sich-nicht-Abgrenzen-Können?
Was bei genauer Betrachtung ja ein Sich-nicht-Abgrenzen-Wollen ist?
Wer das Ziel nicht kennt, kann mit keinem Weg etwas anfangen. „Das Ziel kennen“ ist ja auch ein großes Wort. Vielleicht zu viel verlangt. Doch wenigstens die Richtung sollte klar sein. Nicht die Unternehmensrichtung ist gemeint, sondern die eigene. Die eigene Vorstellung vom Leben. Was will ich tun in meinem Leben? Jeden einzelnen lieben langen Tag?
Passt das Unternehmen in dem ich arbeite dazu? Passt die Tätigkeit die ich tue dazu?
Wenn mehr Menschen – insbesondere Führungskräfte – sich diese Fragen ernsthaft stellen würden, dann müsste das Gallup-Institut nicht jährlich seine vielbeachtete Studie mit dem Engagementindex veröffentlichen und solche grauenhaften Zahlen präsentieren:
ca. 15% stark emotional an den Arbeitgeber gebunden (Spaß an der Arbeit, wenig krank). Das sind die Experten.
ca. 60% gering emotional gebunden (Vieles egal, gerne krank). Diese werden nie richtig gut.
ca. 25% gar nicht emotional gebunden (Alles egal, zerstörerisches Verhalten, viel krank). Diese werden niemals gut.
Was schätzen Sie, in welcher der drei Gruppen sich wohl am ehesten Leute finden die wissen was sie wollen und auch danach leben?
Na, in Gruppe zwei und drei wird wohl nur zufällig jemand dabei sein, bzw. wird er nur vorübergehend in dieser Gruppe sein.
Es zeigt die traurige Wahrheit: die wenigsten Menschen haben eine klare Vorstellung von ihrem Leben. Eine Vision, eine Mission, ein Ziel, eine Bestimmung, einen Auftrag. Wobei das so nicht stimmt. Denn jede/r hat das. Es macht sich leider nur eine Minderheit auf die Suche danach.
Und so ziemlich die meisten Menschen erwecken den Eindruck nicht sonderlich glücklich zu sein. Zumindest verhalten sie sich so. Könnte da ein Zusammenhang bestehen?
Wenn ich nicht weiß was ich will, dann wird so ziemlich alles was mir geschieht, was um mich herum ist, unpassend sein. Dann geht es mir wie der Prinzessin im Märchen Drosselbart. Die wollte sich nicht entscheiden und bekam vom Vater verordnet wen sie zu heiraten hatte. Derjenige war schlimmer als ihre schlimmste Befürchtung.
Wenn ich nicht weiß was ich will, strahle ich das auch aus. Jeder der mit mir zu tun hat, fühlt meine Unsicherheit. Entsteht so Vertrauen?
Folgen Sie jemandem dauerhaft und mit gutem Gefühl, dem Sie nicht vertrauen?
Wenn ich jemanden führen will, muss dieser Vertrauen zu mir haben. Vertrauen hat er, wenn ich das ausstrahle was ich will. Dafür muss ich wissen was ich will.
Doch wieso wissen nicht mal Führungskräfte was sie wollen? Wer bitte soll denn dann noch wissen wo es hingeht?
„Studien, etwa von Forschern der Universität St. Gallen und der London Business School, ergaben, dass nur zehn Prozent der Führungskräfte im Alltag die wichtige Fähigkeit zur Selbststeuerung – soll heißen Willensstärke, Selbstdisziplin, Konsequenz und Fokussierung – aufbringen, um ein definiertes Ziel zu erreichen. Das Gros war entweder hyperaktiv, aber erfolglos, distanziert bzw. zögerlich und somit unwirksam.“
Prof. Dr. Waldemar Pelz, Technische Hochschule Mittelhessen
Die Möglichkeit der Selbstführung setzt die Bereitschaft zur Selbstreflexion voraus.
„Die Fähigkeit der Selbstreflexion ist bei Führungskräften notorisch unterentwickelt.“ Manfred Kets de Vries
Wie will ich andere führen, wenn ich mich nicht einmal selbst führen kann?
Da schließt sich der Kreis: Kenne ich mich als Führungskraft schon nicht aus wohin ich will. Ich mir nicht sicher bin, ob das Unternehmen in dem ich bin und die Aufgabe die ich erfülle die Richtigen sind. Dann werde ich es kaum schaffen Vertrauen in mich aufzubauen. Wird in mich nicht vertraut, werde ich unsicher und vertraue mir selbst nicht. So werden die Kollegen die ich führe selbst unsicher und wenden sich emotional von ihrem Arbeitgeber ab.
Als Führungskraft habe ich also eine ziemlich große Verantwortung zu tragen.
Selbstreflexion. Da lag doch der Hase im Pfeffer.
Man kann nicht nicht führen. Wir führen immer. Nicht nur im Berufsalltag, sondern immer. Wo wir mit Menschen zusammentreffen führen wir und werden wir geführt. Wir führen nach oben und wir führen nach unten.
Nur ist es wirklich die Fähigkeit der Selbstreflexion? Oder vielleicht doch der nicht vorhandene Wille dazu? Nicht selten ist ausschließlich MACHT der einzige triftige Antriebsgrund wieso Menschen Führungspositionen anstreben.
Wenn es so ist, dann wird Macht schon missbraucht noch bevor der erste Arbeitstag der Führungskraft begonnen hat. Macht für sich allein ist nichts. Erst was mit der Macht bewirkt wird ist alles.
Als Führungskraft sollte man sich die – zugegeben selbstreflektorische – Frage stellen: Tue ich das alles um die Sache voran zu bringen, oder um mich selbst zu profilieren?
Ist Zweiteres der Fall, ist es zur armseligen Führung nicht weit.
Ist Ersteres Maxime, besteht ein solides Fundament. Denn wer weiß was „der Sache“ dient, der hat reflektiert. Der weiß wohin er will. Was ihm nützt und was ihm schadet. Der hinterlässt keine verbrannte Erde, denn die schadet ihm ja.
Ich meine, Folgendes ist für jemanden der mit anderen etwas erreichen will (Führungskraft) unerlässlich:
– Wissen was man will
– Vertrauen schenken und aufbauen
– Entscheiden (auch mal den Kopf hinhalten)
– Handeln
– Ehrlich sein
– Gestalten: top Arbeitsstrukturen schaffen, förderndes und forderndes Klima, Hindernisse wegräumen
– Experte sein
– face-to-face (Konflikte löst man nur unter 4 Augen)
Dann ist das Ergebnis Führungskunst. Selbstverständliche Führung. Einfach mit jedem so umzugehen wie er es braucht. Die Stärken fördern, die Schwächen durch die Stärken der anderen Teammitglieder ausgleichen.
Hinter jedem Tun steht der Wunsch nach etwas. Es gibt kein Zielloses tun. Wenn man also aus einem Nutzen für sich heraus tut, dann kann man doch gleich versuchen so zu handeln wie man es eigentlich will. Nur was will man eigentlich?
„JA“ und „NEIN“ ganz einfach.
Zuerst muss ich wissen was ich will. Dann kann ich auch ganz leicht sagen was mir gut tut und was mir schadet. Dann fallen mir die „JA“ und die „NEIN“ leicht.
Wie finde ich heraus was ich will?
Probieren, Probieren, Probieren.
Dazu kann man eine Vielzahl von gängigen Persönlichkeitstests machen, kann seine Stärken und Schwächen analysieren usw.
Doch der eigene richtige Platz offenbart sich zumeist nicht im äußeren Tun. Wo man hin gehört, das schlummert in einem. Mehr oder weniger tief. Durch Jahre und Jahrzehnte aktives Verschütten oft schwierig zu hören.
Selbsterfahrung braucht Zeit
Der Weg zu sich selbst braucht Zeit. Denn man muss durch jede Schicht Verkleidung, Stolz, Status und Selbsthass. Finden kann man sich nur dort wo man sich hat. Ein Schlüssel und eine Starthilfe zu diesem Weg ist die Einsamkeit in der großen Natur.
Und immer wieder muss man nachschärfen, nachfragen, nachspüren. Einmal sich ein paar Tage fastend unter einen Baum zu setzen ist – richtig gemacht – das Tor, durch das man schreitet. Immer wieder und mehr oder weniger regelmäßig muss man sich die Zeit der Rück- und Vorschau geben.
Nicht zu wissen was man will, ist so ziemlich das Schädlichste was man sich selbst antun kann
Alles Gute!
Ihr
Jörg Romstötter