Das AD(H)S-Gehirn tickt anders. Informationen werden anders verarbeitet, der Lernprozess ist anders, die Botenstoffdynamik ist anders und damit ist die Emotionsregulierung anders. Das wirkt sich deutlich auf die Wahrnehmung der Welt und die Reaktionen auf diese aus. Wenn man weiß, wie man tickt, lässt sich damit prima zu recht kommen und andere besonders gut führen.
Lebenslange Schule der Selbstführung
Irgendwann im Laufe seines Lebens erfährt man als AD(H)S-Mensch, dass man anders sei wie die anderen. Einerseits stellt man das vielleicht selbst so nach und nach fest. Meistens wird es einem jedoch eher früher als später ziemlich deutlich von seinem Umfeld mitgeteilt. Da man die Welt nicht ändern kann, sondern nur sich, versucht man sich anzupassen oder Strategien zu entwickeln die die eigene Stärken zur Geltung bringen und die Schwächen nicht allzu krass werden lassen. Anders als bei so genannten neurotypischen Menschen gelingt das häufig nur eingeschränkt. In jedem Falle ist es anstrengender ständig selbstregulierter zu leben als es für Menschen ist, die dieses Handicap nicht haben.
Besonders deutlich wird es, wenn AD(H)S-Menschen in Führungspositionen kommen. Das ist kein allzu seltener Fall. Schließlich sind diese Menschen Zeit ihres Lebens durch eine oft heftige Schule der Selbstführung gegangen:
-
- Sie mussten lernen, sich anzupassen und gleichzeitig zu behaupten, da eine vollständige Anpassung gar nicht gelingen konnte.
- Sie mussten lernen, aus sich zu schöpfen, denn der Vergleich mit anderen oder die Orientierung an anderen hinkte meist eklatant.
- Sie mussten lernen, sich selbst anders zu beobachten und konsequenter zu steuern. Denn nur so konnten sie über ihre Vorzüge verfügen und ihre spezifischen Benachteiligungen im Zaum halten.
- Sie mussten lernen, mit ihren Kräften zu haushalten. Überforderung oder Fehltritte in der täglichen Lebensgestaltung (12 Bausteine für ein gutes Leben) rächen sich sofort deutlich. Die Vorbildwirkung daraus kann enorm sein.
- Sie mussten lernen, sich „trotzdem zu lieben“ und anzunehmen wie sie sind. Empathie beginnt bei sich selbst. Ohne dies ist ein wirksames und nachhaltiges Führen von anderen nicht möglich.
Mit dieser deutlichen Selbst-Steuerungsarbeit sind sie von kleinauf vertraut. Wem es gelingt, trotz seiner Schwierigkeiten seinen Weg zu finden und sich sogar gegenüber anderen zu behaupten, der beweist die wichtigste Voraussetzung um andere Menschen wirksam führen zu können: Selbstführung.
Damit das Miteinander in Team und Unternehmen dauerhaft funktioniert, ist es sehr hilfreich, wenn sich Führungskräfte mit AD(H)S aktiv positionieren. Je klarer allen ist, wie der Umgang miteinander sein soll, desto leichter und erfolgreicher wird es miteinander.
Dies sollte allen in Team und Unternehmen klar sein:
1. Verhaltensweisen und Aussagen werden von anderen anders gedeutet als sie gemeint sind. Es kann zu spontanen, nicht kontrollierbaren Handlungen und Äußerungen im Affekt kommen, die für Außenstehende unbeholfen, unkontrolliert oder als überzogen wahrgenommen werden können.
2. Unbeirrbarkeit wird häufig als Starrköpfigkeit oder Dickschädeligkeit fehlinterpretiert. Empathie wird deshalb abgesprochen und Kaltherzigkeit diagnostiziert.
3. Loyalität wird als Treudoofigkeit wahrgenommen. Ist sie jedoch keinesfalls. Sie ist ein klares Commitment, das nur von Dauer ist, wenn es auf Gegenseitigkeit beruht.
4. Hyperfokus und Blick für Details werden zu schnell als Verbohrtheit, Perfektionismus, Penetranz oder Strebertum herabgesetzt.
5. Spontanität und Humor werden als Oberflächlichkeit und mangelnde Ernsthaftigkeit erlebt.
6. Unverblümte Direktheit, pure Echtheit und Authentizität wird auf Naivität reduziert
7. Schnelles Denken mit anschließender Langeweile, da auf andere „gewartet werden muss“ erscheint als Arroganz
8. Gespür für Entwicklungen und Zusammenhänge wird als „Esoterik“ abgetan
9. Kreativität und Improvisationsvermögen erscheint anderen als Flatterhaftigkeit, mangelnde Ernsthaftigkeit und Gespür für Traditionen und Beständigkeit
10. Leidenschaft und Begeisterung wird häufig beneidet
11. Unpolitisches Handeln und wenig Anfälligkeit für Gruppenzwang gilt schnell als Eigenbrötler- oder Rebellentum
12. Stimmungsschwankungen oder das Dinge-nicht-nachtragen gilt als mangelnde Seriosität und Seniorität
In allen diesen Fällen ist es wichtig prophylaktisch von vorne herein über sich Auskunft zu geben:
-
- Wie ticke ich?
- Welche (Leistungs-)Rhythmen habe ich?
- Nach welchen Werten lebe und arbeite ich?
- Welche Routinen habe ich?
- Welche Regeln der Kommunikation geben wir uns?