„Er ist so ein tief Blauer und sie so eine Rot-Gelbe…” Wie wunderbar es doch ist, dass sich jemand die unfassbare Arbeit gemacht hat und Menschen in Typen eingeteilt hat! Das Leben ist kompliziert und anstrengend genug. Da ist es schon sehr erleichternd in der Einschätzung anderer auf klar gliedernde Einordnungen zugreifen zu können. Oder sind Typentests nicht vielleicht doch eher des Zauberlehrling´s Besen?
Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los
So, wie es dem Zauberlehrling mit dem Besen ergeht, ergeht es dem Metzger mit Glutamat. Mit einem gewissen Maß an Wissen und Können bedienen sich beide eines Mittels, um ihre Arbeit leichter und das Ergebnis besser zu machen. Der Zauberlehrling vergisst den rettenden Spruch, der dem nicht aufhören wollenden Besen endlich Einhalt gebietet. Denn schon ist das Bad gut bereitet. Hilflos stürzt er sich mit der Axt auf den Besen und haut in entzwei. Doch sofort rappeln sich beide Teile auf und führen das überflutende Werk fort. Ähnlich ergeht es dem Metzger, der mit Glutamat – wie wunderbar – einen Fleischgeschmack auf die Gaumen seiner Kunden zaubert, der sich gewaschen hat. Weitaus runder und lustvoller schmeckt´s (Umami). Das macht Appetit auf mehr (als nötig). Was nicht nur Metzger´s Kasse Zuwachs liefert, sondern auch dem Hüftgold seiner Kunden. Dem Kunden schmeckt´s dann nur noch wie so gewohnt. Sogar dem Metzger kommt sein Ur-Wissen um den echten Fleischgeschmack abhanden: Zu einem runden Geburtstag ließen wir uns ein Schwein schlachten. Ungläubig standen die Metzgergesellen um mich herum als ich, „…ja wirklich, nein, keine Marinade, nur mit Salz…” irritiert die Sau ins Auto lud. Besucherkindern schmecken bei uns die Wiener nicht. Sind sie doch vom selbst schlachtenden, Weide haltenden Bauern, der nur mit Gewürzen und Salz abschmeckt.
Bunte Schubladen in die wir Menschen stecken. Wichtig doch vertrackt.
Verhalten wir uns in der Führung oder gar in der „Entwicklung” von Menschen wie Zauberlehrling und Glutamat-Metzger, erleben wir zu Beginn übergroße Erkenntnisgewinne. Erleichterung, Entzücken, ja Verzauberung verspüren wir, setzen wir uns zum ersten Mal mit Typentests auseinander. Es ist für uns einfach nur plausibel. Ja, wir erkennen uns selbst exakt so wieder. Und ja, wir erkennen andere, uns wohl bekannte, dadurch sehr exakt beschrieben. Genial!
Insbesondere, wenn wir uns mit unserem eigenen Unbewussten und Wissen über die menschliche Psyche auseinander setzen, scheinen wir besonders davon zu profitieren. Wer sich schon einmal auf diesen Weg begeben hat, wird sich wie beim kurzen Anheben des Deckels von Pandora´s Büchse gefühlt haben: ein unendliches, myriadisch vernetztes Universum lugt da hervor. Schaurige Weiten, die nach Halt – und wenn er noch so gering ist – schreien.
Für uns Menschen sind Schublandenlernen und Schubladendenken völlig normal und wichtig. Wir sortieren nach Erfahrungs- und Wissensmustern die Welt und die mannigfachen täglichen Situationen ein. Dadurch können wir schnell, mit geringem Energieaufwand und vor allem sicherere Entscheidungen treffen. Das sind Erfolgsmuster, die nach dem Schema „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach” ihren Zweck erfüllen.
Nur birgt jede Schublade die Tücke: Es kommt nur schwer aus ihr heraus, was einmal in ihr ist. Facetten, Abstufungen, Feinheiten und besonders die immensen situativen Einflüsse blenden wir damit aus. Fatal in der Personalentwicklung. Gerade bei Führungskräften, wo wir doch gerade bei denen wissen müssen, wie sie reagieren wenn sie regredieren.
Ja, es hilft. Ja, Typentests sind wirklich eine Erleichterung und Bereicherung.
Doch Typentests beschreiben keine Wahrheit im engeren Sinne (Barnum-Effekt, wie im Horoskop). Sie sind wissenschaftlich nicht valide. Selbst wenn bereits Millionen von Tests durchgeführt wurden, erfüllen sie die Grundvoraussetzungen wissenschaftlicher Forschung nicht. Können sie gar nicht, da viel zu viele Parameter berücksichtigt werden müssten. Denken wir nur an den regelmäßig unterschätzten Einfluss der Situation, der uns alle vielfältig auf der Klaviatur der Typen tanzen lässt.
Typentests, welche auch immer, sind eine erste, stark vereinfachende Hilfestellung, um sich mit sich selbst mit seinen bewussten und unbewussten Mustern, Denk- und Handlungsprozessen auseinander zu setzen. Zudem um jedes Gegenüber als von sich selbst verschieden wahr zu nehmen und grundsätzlich in gängigen Alltagssituationen in etwa einschätzen zu können.
Wieso werden Typentests dann so häufig eingesetzt?
Hinter jedem Typentests steht eine Organisation, die ein wirtschaftliches Interesse daran hat, ihre Tests sowie alle möglichen Info- und Schulungsmaterialien so viel wie mögliche zu verkaufen. Was häufig genannt wird, erscheint uns als richtig (Wahrheitseffekt) Es erstaunt mich immer wieder, mit welcher Selbstverständlichkeit Personalabteilungen, durchaus sehr teure, Typentests reihenweise durchführen lassen. Und die Erkenntnisse daraus sogar für bare Münze nehmen. Das wertvolle Budget könnte investiert in anspruchsvolles Einzel- und Team-Coaching weitaus wirkungsvoller rentieren.
Für fundierte Personalentwicklung sind Typentests nicht geeignet
Die (Selbst-)Weiterentwicklung im Coaching stößt mit jeglichem Schubladendenken unmittelbar an enge Grenzen. Grenzen, die überhaupt erst eine Weiterentwicklung bedeuten. Deshalb sind Typentests im Coaching nicht verwendbar. Verwendbar sind valide Tests („Test“ als Begriff statistischer Überprüfung, kein Fähigkeitennachweis!), welche Persönlichkeitseigenschaften und nicht die Persönlichkeit an sich beschreiben. Big Five (Fünf Faktoren Modell) erfüllt diese Kriterien genauso wie der Test der Inneren Antreiber aus der Transaktionsanalyse.
Hier die beiden Tests im Überblick
Big Five
Zeigt die Ausprägungen in fünf Bereichen:
- Offenheit für Erfahrungen (Aufgeschlossenheit)
- Gewissenhaftigkeit (Perfektionismus)
- Extraversion (Geselligkeit, Extravertiertheit)
- Verträglichkeit (Rücksichtnahme, Kooperationsbereitschaft, Empathie)
- Neurotizismus (emotionale Labilität und Verletzlichkeit)
Vorteil
Die fünf Faktoren werden in je sechs Facetten beschrieben, welche ein gutes Bild der Ausprägungen liefert. Die Auswertung ist eingängig. An den beschreibenden Textbausteinen muss man sich nicht orientieren, sie können eher verwirren und zum Barnum-Effekt führen. Wieder Schubladen…
Nachteil
Liefert kein eingängiges Gesamtbild was Typentests so attraktiv macht. Es braucht Zeit und Reflexionsarbeit, um mit den Ergebnissen griffig umgehen zu können.
Innere Antreiber
Die Transaktionsanalyse bietet uns das Modell der inneren Antreiber. Innere Antreiber sind elterliche Forderungen, die mit konventionellen, kulturellen und sozialen Vorstellungen verbunden sind. Als Eltern-Gebote haben diese Botschaften für Kinder einen Absolutheitscharakter, der nicht angezweifelt wird. Ihre Nichteinhaltung hat einen mehr oder weniger großen Liebesentzug zur Folge. Das ist das Schlimmste, was Kindern geschehen kann. Denn sie sind von ihren Eltern vollständig abhängig.
Erst im Erwachsenenalter haben wir die Möglichkeit zu erkennen, dass es nicht nur Alternativen zu den elterlichen Botschaften gibt. Sondern sogar, dass diese Alternativen mindestens einen ähnlich hohen Lebenserfolg ermöglichen. Zu diesem Zeitpunkt sind diese Botschaften stark im Unterbewusstsein verankert. Unbewusst versuchen wir daher auch als Erwachsene, im Privat- wie im Berufsleben, die Forderungen der Gebote zu erfüllen. Diese Forderungen sind Zwangsmuster, welchen wir nicht so ohne Weiteres entweichen können.
Im Gegenteil: Wir suchen sogar laufend Bestätigung, Vorbilder, Vorteile usw. um den großen Nutzen dieser Prägungen für uns als unentbehrlich und selbstverständlich zu begreifen. Es ist also völlig normal, nicht wahrhaben zu wollen, was Schädliches von den inneren Antreibern ausgeht. Dies ist schlicht Selbstschutz. Denn die inneren Antreiber tragen erheblich zu unserer Identitätsbildung bei. Wir nehmen sie als Stärken unserer Persönlichkeit wahr. Verständlich, denn jeder innere Antreiber hat zweifelsfrei Vorteile.
Die Herausforderung: Die eigene Selbstentwicklung umfasst immer möglichst viele Facetten des Lebens in seinem Umfang und seiner Tiefe auszuloten. Dazu gehört auch, sich den „Gegenteilen” bzw. mildesten Formen der inneren Antreiber zu öffnen. Sie offenbaren ein wahres Universum an neuen Möglichkeiten für uns.
Vorteil
Die inneren Antreiber formen unseren Charakter. Durch die Arbeit an den inneren Antreibern können wir unsere Selbstwahrnehmung in vielen Situationen und damit unser Reagieren und Wirken verändern. Wir können unseren Charakter formen. Die Persönlichkeit ändert sich dadurch nicht.
Wir können neue Erfolgsmuster lernen, sofern wir die sich neu zeigenden Auswirkungen als Erfolge annehmen wollen. Unser „Werkzeugkasten” für Methoden und Haltungen der Selbststeuerung füllt sich.
Dauer Durchführung ca. 20 Minuten. Gratis vielfältig erhältlich.
Nachteil
Siehe „Im Gegenteil:…” Das macht die Arbeit im Coaching manchmal durchaus herausfordernd. Die (unbewusste) Abwehr gegen einen zu erwartenden schmerzlichen Erkenntnisgewinn wandelt sich in Wiederstand.
Sind die Ergebnisse aus Big Five und Innere Antreiber umfassend?
Nein. Keine Beschreibung der Persönlichkeit eines Menschen kann vollständig sein. Vielleicht wäre dies durch eine Vielzahl von Parametern in allen erdenklichen Situationen und Lebensphasen möglich. Doch stünde der Aufwand in einem erträglichen Maß zum Erkenntnisgewinn?
Mein Fazit
Big Five und Innere Antreiber sind gute Begleiter für anspruchsvollere, sich mit der Persönlichkeit tiefer befassenden Coachings. Gerade bei Menschen, die sich grundlegender mit ihrer Innenwelt und anderen auseinander setzen wollen. Sie bieten sich da an, wo eine hohe Eigenverantwortung vorhanden ist und sich jemand auch außerhalb von Coachings periodisch reflektiert.
Sie haben den Nachteil, es erfordert eine gewisse Reife und Aufwand Erkenntnisse und Ableitungen aus ihnen zu erarbeiten. Eben weil sie keine Schubladen á la Typen bieten.
Typentests sind nett und ein kleiner, einfacher Eintritt in die Welt der Persönlichkeitspsychologie. Mehr nicht. Sie fußen zwar mitunter auf den Erkenntnissen wie Big Five oder Transaktionsanalyse, reduzieren jedoch auf die für den jeweiligen Typen passenden Persönlichkeitseigenschaften.
Gute Zeit & Viele Grüße!
Jörg Romstötter
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Meine Hilfestellungen zur Selbstführung und damit zur Führung anderer, erscheinen nicht immer leicht in ihrer Umsetzung. Wobei sie sich gerne offenkundig plausibel, „einfach” und eingängig lesen. Diese Vorgehensweisen, werden in ihrer Umsetzung sowohl als äußerst einfach und äußerst schwierig empfunden. Je nachdem, welche Qualität innere „Arbeit” jemand schon mit sich angestellt hat. Selbstführung beginnt mit der Selbst-Begegnung. Ohne sie ist jede erlernte Vorgehensweise lediglich vordergründiges Tun und funktioniert nur rudimentär: Wir werden als „Tool-Anwender” entlarvt.
Selbst-Begegnung ist ein Stufenprozess: Wer eine „Stufe” erreicht hat, sieht sich unmittelbar mit der nächsten konfrontiert. Wer keine „Stufen” erkennt, ist nicht etwas schon „angekommen” oder gar „fertig”. Der sieht lediglich (unbewusst) von der nächsten Stufe weg. Was natürlich auch völlig ok ist.
Eine der wirksamsten Möglichkeiten zur Selbst-Begegnung und gleichzeitig zur Selbstführung ist seit jeher die Natur. Und dabei im Besonderen das Alleinsein draußen. Sich selbst ein wenig zuhören inmitten der weitenden, klärenden, stärkenden und erdenden Natur, ist ein ganz besonderes Geschenk. Ich wünsche Dir und mir den Mut, dass wir uns dieses Geschenk immer wieder machen.