Selbstwert: Wer Menschen bremst, baut Zeitbomben

Es gibt tatsächlich noch Führungskräfte, die allen Ernstes davon überzeugt sind, man könne andere bremsen. Ohne jegliche Nebenwirkungen! Der Fall: der Bereichsleiter (mäßig reflektierter Endvierziger) kommt mit der großen Motivation eines jungen Teamleiters nicht klar.

„Der ist schon gut. Nur ein wenig Bremsen muss man ihn.”

Irrtum: Menschen können nicht gebremst werden. Es ist wie in der Physik: Energie löst sich niemals in Nichts auf. Energie ist und bleibt immer vorhanden, sie wandelt sich nur. Das Idealbild vom leistenden Menschen, das die Industrialisierung beschert hat, ist fest in unseren Gehirnen eingebrannt. So sehr, dass wir wie selbstverständlich davon ausgehen, Menschen lassen sich wie Maschinen behandeln. Das ist ja auch ein äußerst praktischer und energiesparender und deshalb ein so verlockender Wunsch: Drücke diesen Hebel, dann bekommst Du jene Reaktion. So manche Psycho-Tricks suggerieren uns dies. Es funktioniert ja auch. Nur eben so lange, bis unser Gegenüber kapiert: Wir sind nicht an ihm interessiert, nur an dem, was er für uns tut. Da hört sich der Spaß dann auf und kehrt Brems-Bemühungen flux ins Gegenteil.

Menschen sind keine Autos

Unser Bereichsleiter hat im Laufe seines Lebens die auch objektiv feststellbare Erkenntnis gewonnen, man könne Menschen bremsen. Freilich nur auf den ersten Blick. Hätte er sich die Mühe gemacht, eine Ebene tiefer zu Forschen, würde ihm sein Irrtum sofort auffallen. Doch nehmen wir uns zunächst die Metapher Auto, um uns die beiden Ebenen des „Menschen-Bremsens” zu verdeutlichen:

1. Wir fahren mit dem Auto auf der Landstraße. Ein Verkehrszeichen gebietet uns unser Tempo auf maximal 70 km/ h anzupassen. Wir tippen leicht auf die Bremse und der Tachometer pendelt sich bei der gewünschten Geschwindigkeit ein.

„Menschen-Bremsen” ist aufs Autofahren übertragen:
2. Wir fahren mit dem Auto auf der Landstraße. Ein Verkehrszeichen zeigt ein Tempolimit von 70 km/ h. Wir tippen leicht auf die Bremse und der Warnblinker geht an. Das Tempo bleibt unvermindert bei 100 km/ h.
Wir tippen erneut auf die Bremse, denn schließlich fahren wir zu schnell und es kann uns aus der Kurve werfen. Diesmal geht der Scheibenwischer an.
Nun durchaus panisch, treten wir stärker auf die Bremse, doch diesmal wird das Radio lauter. Jetzt latschen wir mit voller Kraft auf die Bremse. Diesmal spricht sie wie gewünscht an. Durch unseren heftigen Sprung auf die Bremse rattert das ABS und der Wagen kommt nach einigen Metern zum Stehen. Dadurch kann unser Hintermann nicht mehr rechtzeitig bremsen und verkleinert unseren Kofferraum.

Nach dem Energie-Erhaltungssatz der Physik erklären sich unsere Beispiele so:
1. Beim Bremsen werden die Bremsbacken zusammengedrückt und erhöhen damit ihre Reibung, auf der Bremsscheibe, wodurch das Rad abgebremst wird. Die Energie, die beim Drücken auf die Bremse aufgewendet wird wandelt sich in Reibung und letztlich Erwärmung der Bremsscheibe um. Diese Wärmeenergie wird an die Umgebungsluft abgegeben und erwärmt sie. Der Fahrer nimmt dies nicht wahr. Es hat ja auch keinerlei Auswirkungen auf ihn.

2. Werden wir als Mensch in unserem Tun von jemandem gebremst, entsteht in uns Wiederstand. Einfach, weil wir nicht so ohne weiteres verstehen oder akzeptieren können oder wollen, dass unser Handeln nicht zielführend sein soll. Wie auch, denn unser Handeln war ja nur eine Folge von Gefühlen und Gedanken, die uns exakt das gezeigte Handeln als richtig durchführen ließ. Der vom Bereichsleiter empfundene Übereifer des Teamleiters, ist für diesen wahrscheinlich einfach nur motiviertes Tun. Der Teamleiter empfindet den Bereichsleiter hingegen vielleicht einfach nur als stumpf, sich den aktuellen Herausforderungen verweigernd oder auf den Lorbeeren ausruhend. Ha! Und genau hier zeigt sich die Energie, die sich immer einen Weg sucht: Im Teamleiter entsteht Groll, Widerstand oder Frustration. Da er diese Energie irgendwo hin leiten muss, sucht er sich sein Ventil: er redet über den Bereichsleiter schlecht, macht Dienst nach Vorschrift und sieht sich aktiver nach einem anderen Arbeitgeber um, er nutzt Arbeitszeit für Privates, macht eine Woche Gelber-Zettel-Urlaub usw.

Achtung! Der Teamleiter macht, womit der Bereichsleiter niemals rechnet.

Und, was der Bereichsleiter auch nicht so ohne Weiteres herausfinden, überprüfen oder gar entlarven könnte. Also alles Aktivitäten, für die der Bereichsleiter eine Ebene tiefer schürfen müsste. Doch dafür fehlt ihm nicht nur die Vorstellung, dass es diese Ebene überhaupt gibt. Er hat weder die Lust, noch die Zeit, noch sieht er die Notwendigkeit, dies zu tun.
Denn bei der Personalleitung kann er sich ohne Weiteres über den Teamleiter nach dessen Weggang beschweren, dieser meinte „etwas Besseres zu sein.” Die Personaler dürfen es ausbaden und nach einem Nachfolger für den Teamleiter suchen. Schade, wo doch der Teamleiter sich so hoch engagiert eingesetzt hatte.

Wer Menschen bremst, baut Zeitbomben

Genauso wie bei unserem verrückt reagierenden Auto, wissen wir niemals, wie Menschen reagieren werden, wenn wir sie bremsen. Nur eines ist sicher: sie suchen sich immer Kanäle, wo sie für sich einen gefühlt adäquaten Ausgleich für die empfundene Herabsetzung finden. Unter Garantie sind diese Kanäle genau jene, die dem Bremser am empfindlichsten treffen. Und zwar genau da, wo er es am wenigsten erwartet, nicht nachverfolgen kann und wovor sich nicht schützen kann.

Der Bremser ist das Opfer: Er wurde auch zu oft gebremst

Der Bremser folgt im Grunde nur gelernten Mustern. Vielleicht ist es ihm ebenso ergangen und er wurde tüchtig ausgebremst. Mittlerweile hat er für sich Verhaltensweisen gefunden, die ihn vor sich selbst sein erhaltenes Schmerzensgeld (Gehalt) rechtfertigen lassen.
Das nagte an seinem Selbstwert: „So wie ich bin, wollen die mich nicht. Ich bin nicht gut, so wie ich bin. Erst, wenn ich mich ändere, werde ich geliebt.” Freilich völlig unbewusst.

Wie sollten wir mit „Übereifrigen” umgehen?

Zunächst müssen wir überhaupt realisieren, dass es sich um Eifer handelt, der mehr schadet als nützt. Denn bloß weil jemand mehr performt als der Durchschnitt, heißt das noch lange nicht, dass dabei automatisch Gefahr in Verzug ist. Hier können wir den Eifrigen jedoch vor einem Sich-Ausbrennen an passiven Widerständen von Kollegen schützen. Indem wir ihm helfen, sein Verhalten zu reflektieren und zusehen, dass wir mit ihm gemeinsam seine Energien in Nutzen für alle kanalisieren.

Kanalisieren ist das Zaubermittel

Ich meine, das Wort „Bremsen” sollten wir vollständig aus dem Sprachgebrauch im Bezug auf Menschen streichen. Wir können menschliche Energie nicht bremsen. Dafür lässt sie sich wunderbar kanalisieren. Dabei hilft uns wiederum ungemein die Physik menschlicher Energie: wir Menschen wollen mit unserer Energie wirken. Wir wollen mit ihr etwas Schönes/ Gutes/ Wertvolles/ Wichtiges/ Bleibendes usw. schaffen. Was dieses „Besser” und „Schöner” ist, gilt es herauszufinden. (Hier findest Du etwas zur Macht des Auftrags) Und auch dafür gibt es ein formidables Rezept:

Beim Reden kommen die Leut´ zusammen.

Gute Zeit & Viele Grüße!

Jörg Romstötter

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Meine Hilfestellungen zur Selbstführung und damit zur Führung anderer, erscheinen nicht immer leicht in ihrer Umsetzung. Wobei sie sich gerne offenkundig plausibel, „einfach” und eingängig lesen. Diese Vorgehensweisen werden in ihrer Umsetzung sowohl als äußerst einfach und äußerst schwierig empfunden. Je nachdem, welche Qualität innere „Arbeit” jemand schon mit sich angestellt hat. Selbstführung beginnt mit der Selbst-Begegnung. Ohne sie ist jede erlernte Vorgehensweise lediglich vordergründiges Tun und funktioniert nur rudimentär: Wir werden als „Tool-Anwender” entlarvt.

Selbst-Begegnung ist ein Stufenprozess: Wer eine „Stufe” erreicht hat, sieht sich unmittelbar mit der nächsten konfrontiert. Wer keine „Stufen” erkennt, ist nicht etwas schon „angekommen” oder gar „fertig”. Der sieht lediglich (unbewusst) von der nächsten Stufe weg. Was natürlich auch völlig ok ist.

Eine der wirksamsten Möglichkeiten zur Selbst-Begegnung und gleichzeitig zur Selbstführung ist seit jeher die Natur. Und dabei im Besonderen das Alleinsein draußen. Sich selbst ein wenig zuhören inmitten der weitenden, klärenden, stärkenden und erdenden Natur, ist ein ganz besonderes Geschenk. Ich wünsche Dir und mir den Mut, dass wir uns dieses Geschenk immer wieder machen.