…und Disziplin macht plötzlich Freude! (Teil 2)

Im 1. Teil haben wir uns die Automatismen von Disziplin angesehen. Hier erschließen wir uns die Freude an Disziplin (Video).

Disziplin und Erfolg: Was wollen wir mit Disziplin erzeugen?

Disziplin schafft regelmäßiges, häufiges Erzeugen von bewusst herbeigeführten, ähnlichen Situationen. Die Chance, dass diese geschaffene Situation auf ein sehr passende andere Situation (Bedarf eines anderen) stößt, ist größer als wenn wir die Situation nur ein einziges Mal erzeugen. Die Aussicht auf Erfolg ist also höher.

Erscheint jedoch die Situation mit der großen Resonanz nie, kann ich diszipliniert sein wie ich will, ich werde damit nicht zum Erfolg kommen. Im Gegenteil, ich werde frustriert.

Erfolge schreiben wir gerne eigenem (diszipliniertem?) Verhalten zu. Misserfolge den Umständen.

Wenn jemand sagt: „Ich habe zehn Jahre jeden Tag XY getan und dann kam der Durchbruch.” Dann ist diese Aussage für ihn vollkommen wahr.
Doch für jeden anderen muss es nicht so sein. Außerdem: Wie sicher kann sich derjenige sein, seinen Erfolg je zu wiederholen? Auch wenn er seine Disziplin sogar noch steigert? Gar nicht. Er hat keine Garantie. Denn: Welche seiner inneren und alle äußeren Faktoren haben letztlich so große Resonanz erzeugt, dass sein Tun überhaupt ein „Durchbruch” wurde? Wie groß war der Anteil „mit der richtigen Idee zur richtigen Zeit am richtigen Ort”?

Und, wie steht es damit: Denke bitte an die wichtigsten Menschen in Deinem Leben. Wie waren die Umstände für Eure erste Begegnung? Waren sie nicht alle in gewisser Weise „Zu-Fälle”. Alle wichtigen Menschen in Deinem Leben sind Dir zu-gefallen, zu-gelaufen. Jedenfalls hast Du sie nicht aktiv gesucht. Sie sind „an Dir hängen geblieben” weil Du bist wie Du bist, weil Du getan hast, wie Du eben getan hast.
Erst in der Reflexion der Ereignisse, erscheinen diese wie in einer wundersamen Logik ineinander zu greifen. Doch im tatsächlichen Handeln haben wir völlig aus der Situation und unseren eigenen Plänen heraus gehandelt. Dass sich letztlich ein Mensch an unsere Seite gesellte, ist dagegen niemals „käuflich”.

Und jetzt denke bitte an ganz besondere Ereignisse? Wie ist es zu diesen gekommen? Verhält es sich bei diesen nicht ebenso wundersam? Auch sie sind entstanden, weil Du getan hast, wie Du tust, weil Du bist, wie Du bist.

Glaub-ich-nicht-Beispiel 1
„Aber ich habe mich doch bewusst für Kinder entschieden. Ich habe genau die Anzahl gesunder Kinder, die ich wollte.”
Stimmt. Doch ob wir mit unserem Wahlpartner Kinder haben können, das können wir nicht beeinflussen. Genauso wenig, ob die Kinder gesund sind, an welchem Datum sie geboren wurden, welches Geschlecht sie haben, wie sie aussehen, welche Charaktereigenschaften, Talente und Neigungen sie haben usw.? Also alles, was uns als Mensch wirklich ausmacht. Darüber haben die Eltern keinerlei Macht. Wunderbar! Denn sonst würden Du und ich nicht so sein wie wir sind. Garantiert!

Glaub-ich-nicht-Beispiel 2
„Ich habe mich für ein Unternehmen interessiert, mich dort beworben und die Stelle wurde zum Großteil nach meinem Input neu geschaffen.”
Stimmt. Doch die Stelle wurde zu einem Zeitpunkt geschaffen, in welchem es möglich war. Ein halbes Jahr vorher oder nachher und Du hättest keine Chance gehabt, die Stelle zu gestalten oder ein anderer hätte sie. Auch, welche Kollegen Du hast, welche Kunden, Partner usw. konntest Du Dir nicht aussuchen. Die Stelle mag ja wunderbar sein, doch wenn Du feststellst, dass Du in diesem Unternehmen niemals mit Deiner Person und Arbeit überzeugen kannst, bist Du dort schneller Geschichte als Du glaubst. Ob freiwillig oder unfreiwillig.

Diszipliniertes Tun ohne Disziplin ist Freude pur.

„Etwas tun, um es zu tun. Das ist der Schlüssel für Erfolg.”
Und nebenbei auch der einzige Lebenssinn.

Beispiel Deutsch Nationalmannschaft und Fußball-WM 2018
Die haben sicher alle jahrelang äußerst diszipliniert trainiert. Doch sie waren nicht richtig hungrig auf den Titel. Wenn Deutschland wieder Weltmeister werden will, dann braucht es ein Team, das hungrig auf den Titel ist und sich allein aus diesem Grund selbst zu Verhalten diszipliniert, das die Chance, dieses Ziel zu erreichen, wahrscheinlicher macht. Das mehr von dem Verhalten vermeidet, das vom Ziel ablenkt.
„Ich will Schlachten gewinnen!”, sagte einst Bastian Schweinsteiger. Und, wurde er Weltmeister? Yo man! Und im Rückblick hat sein Tun eine wunderbare Logik: Er musste „nur” so lange „Schlachten” (Spiele) gewinnen (= Gewinnen um zu Gewinnen), bis er sich im Spiel der Spiele (Weltmeisterschaft) wiederfand.

Beispiel Abnehmen
Sie kann so viele Diäten und Sportprogramme mache wie sie will, sie wird scheitern. Wenn sie sich im Grunde unansehnlich, nicht liebenswert, nicht beachtet oder angegriffen, ausgenutzt usw. fühlt. Wenn sie jemandem etwas beweisen oder heimzahlen will. Wenn sie ihren Körper quält, der dann in Verzweiflung alle Energie hortet, weil er sonst seine Weiblichkeit nicht mehr ausdrücken kann.
Sie muss „nur” herausfinden, welche Figur wirklich „Sie” ist. Und schon denkt sie an keine Diät mehr, fühlt sich in ihrem Körper wohl und kann sich wirklich wichtigen Dingen widmen. Egal, ob ihr Körper irgendwelchen Idealen entspricht oder welche Reaktionen sie für ihn bekommt.

Es zu tun, „weil ich das bin, weil es mein Sinn ist, weil ich mich selbst dadurch ausdrücke”. Dann werden wir nicht Weltmeister oder dünn, um Weltmeister oder dünn (= berühmt/angesehen/beachtet = geliebt) zu sein, sondern um wir selbst zu sein. Dann werden wir auch geliebt, weil wir wir sind und nicht weil wir Weltmeister sind oder irgendwann einmal waren.
Nicht jeder kann und will Weltmeister oder dünn sein. Vielleicht haben diese Menschen ja Wichtigeres zu tun?

Disziplin ist weder gut und noch schlecht. Disziplin ist ein Werkzeug.

Jedes Werkzeug, jedes Ding dieser Erde kann Segen oder Fluch sein. Das entscheidet der Anwender. Wer tut, was ihm wirklich wichtig ist, verhält sich in den Augen anderer sehr diszipliniert. Für ihn selbst ist es eine Selbstverständlichkeit.
So bald wir uns als diszipliniert wahrnehmen, sind wir es oftmals nicht. Zugleich müssen wir sehr viel Kraft aufwenden.
Natürlich können wir uns durch Gewohnheiten Verhalten antrainieren, das dann wiederum für andere erlebbar als diszipliniert erscheint. Und für uns vielleicht auch. Doch dürfen wir uns ruhig fragen, weshalb wir dieses Ziel wirklich erreichen wollen. Was ändert sich in unserem Leben tatsächlich, wenn wir es erreicht haben?
Wer lange über Vorgehensweisen, Routinen, Disziplin, Mechanismen nachdenkt, der will es im Grunde gar nicht. Der sucht nach dem Weg des geringsten Wiederstandes. Wer hingegen etwas will, der macht einfach. Der nimmt Wiederstände in kauf.

Speziell für Frauen

Frauen haben – sofern sie es zulassen – durch ihr Wesen und ihren Körper einen anderen Zugang zu natürlichen Rhythmen als Männer. Sie spüren auf ihre Weise, was wann dran ist und was einem gut tut oder nicht. Eine stärkere Annäherung an klassisches Disziplin-Denken, das in Mitteleuropa gerne gerade natürliche Schwankungen einebnen möchte, könnte das Anstreben von eher männlichen „Idealen” (unfrei) sein. Das sehe ich als Rückschritt, eine Verarmung unserer menschlichen Möglichkeiten.

Der Wille ist wie ein Muskel. Er ermüdet schneller, als uns lieb ist. Drum nutze Deinen Willen, um nach Dir selbst zu forschen.

Wir sollten unsere begrenzt vorhandene Willenskraft dafür verwenden, uns klar zu machen, was wir aus tiefstem Herzen wirklich wollen. Dann haben wir die Energie für die Umsetzung automatisch.
Eine Verschwendung unserer Willenskraft ist es, sich selbst für Verrichtungen zu kasteien, deren Sinn sich für uns lediglich rationell erschließt. Da verschleißen wir uns und wundern uns über Burnout, Depression, Süchte & Co.

„Sich selbst in der Verantwortung für sich selbst lassen.”

Wir wissen ja: alles, was wir gerne, mit Freude, mit Hingabe tun, machen wir automatisch schon ziemlich gut, lernen vergleichsweise schnell und sind sehr lernfähig.
Alles, wozu wir uns quälen, „swingt” einfach nicht. Es „kommt nicht rüber”.

Was führt zur Disziplin?

Selbstannahme und Selbstliebe: Wenn ich mich selbst annehme und liebe, wie ich bin, werden mir überhaupt erst Bereiche bewusst, in welchen ich kompromisslos zu mir stehe. Im Gegenteil werde ich zu keiner selbst auferlegten Disziplin fähig sein, wenn ich mich selbst nicht als liebenswert und „an-nehm-bar” erkenne.

Denn dann betrete ich den Teufelskreislauf: diszipliniertes Tun um etwas zu erreichen, das ich im Grunde gar nicht will => erkennen meiner Unzulänglichkeit, weil mir die Disziplin so schwer fällt => Scheitern an der Disziplin => Beweis ich sei weder „an-nehm-bar” noch liebenswert => Gefühl der Hoffnungs- und Sinnlosigkeit => Depression

Um auf konstruktivere Gedanken zu kommen, hier noch der „Himmelskreislauf”: Ich liebe mich selbst und nehme mich an, wie ich bin => Ich erkenne meine Talente und Fähigkeiten und lebe meine Vorlieben aus => Ich verzeihe mir Fehler und Unzulänglichkeiten => Aus dem Ausleben meiner Vorlieben entstehen motivierende Ereignisse und ich begegne Menschen, die toll finden, was ich tue => Diese Erlebnisse verhelfen mir über Durststrecken und Fehlschläge => Weil ich mich selbst auslebe, tue ich, was mich hauptsächlich ausmacht => Ich erreiche Ziele und erkenne, dass ich immer mehr so lebe, wie es mir selbst entspricht => Selbstverwirklichung.

Wir erkennen: Die beiden äußersten Pole heißen Depression und Selbstverwirklichung. Zu beiden gelangen wir durch Disziplin. Verstehen wir Disziplin auf seine destruktive Weise, erzeugen wir Depression. Verstehen wir Disziplin auf seine fruchtbare Weise, gelangen wir zur Selbstverwirklichung.

Vorausgesetzt, wir lieben uns und nehmen uns an. Dann schätzen wir unsere Herzenswünsche und folgen ihnen. Wie langsam es auch gehen mag.

Wer sich selbst folgt, der entspannt sich in seinem Tun

Wer sich selbst folgt, der muss nicht mehr zwischen Anspannung und Entspannung wechseln. Für den ist jegliches Tun das Folgen seines Weges. Der weiß, er kommt in der Entspannung genauso voran wie in der Anspannung. Im Nichts-Tun, im Pausemachen, im Schlaf genauso wie in konzentriertester Arbeit.

Disziplinierung durch Vorschriften und Strafandrohung

Überlege mal, wo Disziplinierung stattfindet. Da fallen uns Bereiche ein wie Schule, Vereine, Gruppierungen jeglicher Art, Regierung mit Verwaltungsakten der Behörden (Regeln des öffentlichen Zusammenlebens, Steuern, Verkehr usw.) Militär sowieso. Also alles Bereiche in welchen das für alle möglichst verlässliche und sichere Zusammenleben – völlig unabhängig von Einzelmeinungen, Gefühlen, Tagesverfassungen, Tag oder Nacht, Hunger und Durst, Sommer oder Winter – gewährleistet werden soll. Im Idealfall wohl (meine Meinung?) der kleinste gemeinsame Nenner, mit welchem Gemeinschaft sicher und verlässlich für jeden gelebt werden kann.
So gesehen macht Disziplin frei. Wer verlässlich sicher leben kann, fühlt sich in den vegetativen Lebensausprägungen (alles Körperliche) frei.
Auch wenn wir murren, fallen uns diese Disziplinierungen eher leicht, weil wir z.B. uns lieber an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten, als die Strafe zu verbüßen. Ist uns die Strafe egal, halten wir auch nicht Disziplin.

Disziplin-Junkys

Ohne Maß und Ziel wird Disziplin zu Dogma, Drill, blindem Gehorsam über eigene Grenzen und die anderer. Dann tritt die Moral vor den Sinn. Moral ist immer nur eine vorübergehende, sich permanent wandelnde Erscheinung. (Sinnlosigkeit von Disziplin)

Genussvolle Selbstregulierung

„Weil mir alles andere jetzt nicht so wichtig ist, wie das, was ich tue.” Vielleicht wollen wir Disziplin als das „Zurückstellen von Spontanhandlungen zu Gunsten von für uns Bedeutenderem” beschreiben. Dann bekommen wir eine positive Sichtweise auf die Disziplin. Dann stellen wir das Wichtige vorne dran und lassen Ablenkendes einfach weg.
Siehe auch Askese

Dann macht Disziplin plötzlich Freude

Wir machen mehr von dem, was wir eigentlich wollen. Dadurch erleben wir, wie wir uns selbst mehr ausleben. Wir kommen uns selbst immer näher. Und wenn das nicht sehr satt befriedigende Freude macht, dann weiß ich auch nicht.

Je mehr wir wahrnehmen, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden, desto gnädiger gehen wir mit uns und den völlig normalen und gesunden(!) Disziplinlosigkeiten um. Erst sie zeigen uns, wie treu wir uns im Alltag tatsächlich schon sind. Sie schaffen einen wohligen Abstand (Meta-Ebene) der uns auf unser Tun blicken lässt. Erst so können wir uns beobachten und uns selbst nicht zu ernst nehmen.
Dann macht am anderen Tag das „disziplinierte Dranbleiben” gleich wieder mehr Freude.

Video zum Beitrag.

Gute Zeit & Beste Grüße!

Jörg Romstötter

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Meine Hilfestellungen zur Selbstführung und damit zur Führung anderer, erscheinen nicht immer leicht in ihrer Umsetzung. Wobei sie sich gerne offenkundig plausibel, „einfach” und eingängig lesen. Diese Vorgehensweisen werden in ihrer Umsetzung sowohl als äußerst einfach und äußerst schwierig empfunden. Je nachdem, welche Qualität innere „Arbeit” jemand schon mit sich angestellt hat. Selbstführung beginnt mit der Selbst-Begegnung. Ohne sie ist jede erlernte Vorgehensweise lediglich vordergründiges Tun und funktioniert nur rudimentär: Wir werden als „Tool-Anwender” entlarvt.

Selbst-Begegnung ist ein Stufenprozess: Wer eine „Stufe” erreicht hat, sieht sich unmittelbar mit der nächsten konfrontiert. Wer keine „Stufen” erkennt, ist nicht etwas schon „angekommen” oder gar „fertig”. Der sieht lediglich (unbewusst) von der nächsten Stufe weg. Was natürlich auch völlig ok ist.

Eine der wirksamsten Möglichkeiten zur Selbst-Begegnung und gleichzeitig zur Selbstführung ist seit jeher die Natur. Und dabei im Besonderen das Alleinsein draußen. Sich selbst ein wenig zuhören inmitten der weitenden, klärenden, stärkenden und erdenden Natur, ist ein ganz besonderes Geschenk. Ich wünsche Dir und mir den Mut, dass wir uns dieses Geschenk immer wieder machen.