Veränderung macht Angst. Mehr oder weniger jedem. Mehr oder weniger bewusst. In Veränderungsprozessen ist Angst immer im Spiel. Auch wenn wir sie leugnen, wegdiskutieren, verspotten oder ignorieren. Doch Angst ist mehr als einfach nur peinlich. Angst ist Motor oder Bremse – je nachdem wie wir mit ihr umgehen.
Angst ist sehr komplex, doch lenkbar
Es wäre recht und billig, einfach aufzuzeigen, wie Angst in Veränderungsprozessen wirkt. Doch es würde sich wie ein bloßes Aufstellen von Behauptungen lesen. Deshalb müssen wir uns zunächst erschließen, was Angst ist und wie sie entsteht. Üblicherweise setzen wir uns mit Angst kaum auseinander. Vielleicht in brenzligen Situationen, wenn jemand an einer Angstform erkrankt ist, wir selbst oder bei anderen Panik erleben.
Hier haben wir des Pudels Kern: Angst ist normal, sie kann sich jedoch bis hin zur Erkrankung oder Überreaktion steigern. Angst zu ignorieren, „weg-zu-drücken”, tot zu reden oder sie zu verspotten, zeigt gerade mit Angst nicht umgehen zu können. Weder mit der eigenen noch mit der Angst anderer.
Wir sind Opfer und Gestalter unserer Angstursachen
Angst entsteht aus den verschiedensten Gründen. Wir sind im Bezug auf bestimmte Ängste oder allgemein Ängstlichkeit genetisch disponiert. Hinzu kommen bewusste und unbewusste Lebenserfahrungen, die allgemeine Ängstlichkeit oder bestimmte Ängste fördern. Krankheiten bedingen Ängste genauso, wie der Konsum von Suchtstoffen und Stimulanzien, ein destruktiver Lebenswandel mit zu viel Disstress, zu wenig Erholung, Schlaf, Bewegung und in negativem sozialem Umfeld. Diese lassen sich zum Teil verändern. Wenn auch nicht von heute auf morgen.
Bewertung: Die meiste Angst ist Fantasie
Abgesehen von den genannten, mehr oder weniger wählbaren Umständen, ist die größte Ursache für Angst die Bewertung. Sie entsteht, weil wir es gewöhnt sind, alles was uns begegnet und was uns umgibt, in gut oder schlecht, schön oder häßlich, nützlich oder nutzlos usw. einzuteilen. Dieses Bewerten ist ein Ergebnis unseres Erfahrungslernens. Es schützt uns vor bekannten Gefahren und lässt uns erwartbare Freuden anstreben. So können wir schneller entscheiden. Jedoch verhalten wir uns auch entsprechend dieser gespeicherten Erfahrungen ähnlich: Wir leben in unserem Wahrnehmungstunnel vor uns hin, ohne zu erkennen, dass wir nach den immer gleichen Mustern entscheiden und agieren. Hinterfragen wir diese Erfahrungen nicht, lernen wir nur durch zufällige andere Ereignisse sie zu korrigieren.
Durch Bewertungen entwickeln wir Gedanken und Gefühle. Ihnen zu Folge handeln wir. Eine Situation ist zunächst so, wie sie ist. Nicht mehr und nicht weniger. Erst unsere individuelle Bewertung erzeugt in uns Freude oder Ablehnung gegenüber der Situation. Bewerten wir die Situation destruktiv, entwickelt – also fantasiert! – unser Gehirn Szenarien negativer Wirkung auf uns. Um Kräfte gegen diese negativen Wirkungen zu sammeln und uns auf die Gefahr zu konzentrieren, entsteht Angst. Wir nehmen dann körperliche Reaktionen wie Nervosität, Zittern, beschleunigte Atmung, trockener Mund, schwitzende Hände, nervöser Darm, eingeengtes Denken usw. wahr. Oder auch Kaltblütigkeit, Galgenhumor oder Ironie. Interpretieren wir an dieser Stelle unsere körperlichen Symptome als Bestätigung der Gefährlichkeit der Situation, können wir, wieder mit Hilfe unserer Fantasie, unsere körperlichen Reaktionen bis hin zu unkontrollierbarer Panik steigern. Eine unbewusste Strategie, sich mit bedrohlichen Teilen der Realität nicht auseinander setzen zu müssen. Dies nennen wir auch den Teufelskreis der Angst. Im Falle von Traumatisierungen läuft dieser ohne Einflussmöglichkeit automatisch ab.
Angst macht uns unfähiger als wir tatsächlich sind
Im besten Fall beflügelt uns Angst, wie wir gleich noch sehen werden. Zum Großteil jedoch macht uns Angst unfähiger als wir sind (ein Selbsterfahrungs-Experiment dazu) . Denn Angst richtet all unsere Aufmerksamkeit auf das angstauslösende Objekt. Das ist Sinn und Zweck der Angst. Damit blenden wir alle anderen Handlungsoptionen aus. Der Fokus auf das Objekt der Angst ist nur hilfreich, wenn wir mit exakt der provozierten geistigen und körperlichen Aufmerksamkeit auch das Objekt verändern oder beseitigen können, so dass es uns nicht mehr schaden kann. Zum Beispiel ermöglicht uns gerne erst die Angst vor den negativen Konsequenzen einer Schlechtleistung den termingerechten Abschluss eines Projektes mit enormen Kräften, klarer Priorisierung und brillanten Ideen.
Dagegen kann Angst eine Situation auch erst gefährlich machen. Ist die Situation aufgrund ihrer Komplexität oder Dauer eben nicht mit einem Kraftakt zu bewältigen, lässt uns die Wirkung der Angst auf einen früheren, den „abgesicherten Verhaltensmodus” zurückfallen (regredieren = Angstregression). Ein Verhaltensmodus, der auch ohne höhere Gehirnleistung funktioniert. Da zeigen dann Menschen Verhaltensweisen wie Schreien, Schimpfen, Beleidigen, Schweigen, Schmollen, Ausflüchte, Weinen usw. Eben Angriff, Flucht, Verteidigung oder Totstellen. Das macht uns unfähiger als wir wirklich sind und unsere gebündelte Aufmerksamkeit lässt uns vor der Gefahr erstarren wie das Kaninchen vor der Schlange.
Illusion Angstfreiheit: Angst ist normal und wichtig
Es gibt keine Methode, die uns dauerhaft vollständig angstfrei macht. Abgesehen von Erleuchtung vielleicht. Deshalb fragen wir nicht danach, wie wir weniger Angst haben können, wie weniger Angst entsteht oder gar wie Angstfreiheit funktioniert. Viel zielführender ist es mit Ängsten so umzugehen, dass sie wenigstens unschädlich sind. Doch damit geben wir uns nicht zufrieden. Wir wollen Nutzen aus dem Komplex Angst ziehen. Angst ist also ein völlig normaler, wichtiger und wertvoller Helfer.
Warnsignal und Motor Angst
Richtig mit ihr umgegangen, ist Angst ein wertvoller Ausdruck unserer Intuition: Sie schützt uns vor Nachteilen. Sei es, weil wir ähnliche Erfahrungen gemacht haben oder sie durch Genetik und Sozialisierung tief in uns verankert sind. Angst macht uns kurzzeitig hochgradig leistungsfähig: körperlich wie geistig. Mit Angst als wichtiger Stimulanz können wir negative Folgen für uns erfolgreicher abwenden. Wir mobilisieren geistige und körperliche Kräfte, die wir ohne die drohenden Gefahren nicht abrufen würden. Allerdings ist dieser Abwehr-Modus extrem energieaufwändig und nur kurzzeitig schadlos. Dauert die Angstsituation zu lange an und ist sie zu heftig, reagieren wir auch umso heftiger: von Panik bis zu totalem Rückzug.
Zu viel Angst ist genauso schädlich wie zu wenig Angst.
Haben wir zu viel Angst, ist sie eine große Blockade, die uns vielfältig an Entwicklung und Erfolg hindert. Beruflich wie privat. In solche Sphären vorgedrungen, ist Angst mitunter nur durch große Anstrengungen dauerhaft in unschädliche Bahnen zu lenken. Manchmal gelingt das nie. Und auch bei recht guter Bewältigung bleibt ihre Eindämmung eine permanente Sonderleistung, die dafür eingesetzte Energie fehlt an anderer Stelle.
Zu wenig Angst lässt uns unnötige Risiken eingehen und keine tragfähigen Beziehungen entwickeln. Gleichgültigkeit und auch Rücksichtslosigkeit macht sich breit. Wobei das so ganz genau nicht stimmt, denn Gleichgültigkeit oder mangelhafte Rücksicht auf andere ist gerade ein Ausdruck von Angst. Hier entwickeln wir eine starke Ich-Zentrierung wegen eines gefühlten Mangels. Mangel ist das Gefühl, nicht ausreichend zu bekommen, was für ein schadloses Fortkommen nötig erscheint. Wie wenig nachvollziehbar dies für einen anderen auch immer sein mag. Mangelsituationen sind par excellence Angst-Situationen. Risiken einzugehen und dabei mit seiner Angst umzugehen lernen, ist ein normaler, wichtiger, gesunder und wesentlicher Teil des Menschseins und der Individuation.
Schürt die Aufmerksamkeit auf die Angst erst Ängste?
Es kommt darauf an. Wenn wir natürlich zu unseren Leuten sagen: „Gell, so eine Transformation ist echt heftig. Wir wissen, dass ihr da auch Angst habt… Da kann ja dies und jenes passieren… Ogottogottogott!” schütten wir das Kind mit dem Bade aus. Viel wichtiger ist es anzuerkennen, dass es da schlafende Angst-Hunde gibt. Von Wecken ist zunächst keine Rede.
Bloß, wie gehen wir mit diesen Angst-Hunden um? Woran erkennen wir, dass sie vielleicht bereits aufwachen? Was können wir tun, damit sie weiter ruhig schlafen? Vielleicht so lange, bis der größte Spuk vorbei ist und die Tatsachen für den Erfolg sprechen? Was tun wir, wenn sie doch zu früh aufwachen? Und ist es sinnvoll, ganz bewusst einzelne Angst-Hunde zu wecken, damit die übrigen umso ruhiger weiterschlafen?
Dazu mehr in den folgenden Beiträgen zur Angst in Veränderungen.
„Kommen wir mit unserer Angst klar, kommen wir mit allem klar.
Dann sind wir wirklich frei.
Die Krux ist nur: zur erkennen wo wir wirklich Angst haben
oder Angst selbst erzeugen.
Das betrifft uns alle. Täglich.„
Jörg Romstötter
Gute Zeit & Viele Grüße!
Jörg Romstötter
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Meine Hilfestellungen zur Selbstführung und damit zur Führung anderer, erscheinen nicht immer leicht in ihrer Umsetzung. Wobei sie sich gerne offenkundig plausibel, „einfach” und eingängig lesen. Diese Vorgehensweisen, werden in ihrer Umsetzung sowohl als äußerst einfach und äußerst schwierig empfunden. Je nachdem, welche Qualität innere „Arbeit” jemand schon mit sich angestellt hat. Selbstführung beginnt mit der Selbst-Begegnung. Ohne sie ist jede erlernte Vorgehensweise lediglich vordergründiges Tun und funktioniert nur rudimentär: Wir werden als „Tool-Anwender” entlarvt.
Selbst-Begegnung ist ein Stufenprozess: Wer eine „Stufe” erreicht hat, sieht sich unmittelbar mit der nächsten konfrontiert. Wer keine „Stufen” erkennt, ist nicht etwas schon „angekommen” oder gar „fertig”. Der sieht lediglich (unbewusst) von der nächsten Stufe weg. Was natürlich auch völlig ok ist.
Eine der wirksamsten Möglichkeiten zur Selbst-Begegnung und gleichzeitig zur Selbstführung ist seit jeher die Natur. Und dabei im Besonderen das Alleinsein draußen. Sich selbst ein wenig zuhören inmitten der weitenden, klärenden, stärkenden und erdenden Natur, ist ein ganz besonderes Geschenk. Ich wünsche Dir und mir den Mut, dass wir uns dieses Geschenk immer wieder machen.