Ob Wachstum oder Rückentwicklung, wir wählen selbst

Es ist Samstag und Du tust etwas für Dich und fühlst Dich gut. Vielleicht gehst Du spazieren, treibst Sport, musizierst, malst oder liest ein gutes Buch oder Du räumst gedankenverloren auf und machst es Dir dann gemütlich. Die (Arbeits-)Woche ist gut gelaufen und Du genießt Dein Wochenende. Du bist mit Dir im Reinen. Du denkst an zukünftige Herausforderungen. Sie motivieren Dich, weil Du weißt, Du hast sie freiwillig gewählt. Manche jedoch machen Dir Angst. Doch Du erinnerst Dich an Herausforderungen aus der Vergangenheit, die Du gemeistert hast, klopfst Dir gedanklich auf die Schulter und sagst Dir: „Das packe ich schon!”
Du erlebst Dich mit Dir selbst im Reinen und fühlst Dich in Deinem Tun wirkungsvoll. Im weitesten Sinne wenigstens.

Der Kontext des Selbsterlebens ändert sich

Abends bist Du vielleicht auf einer Party und lernst neue Leute kennen, die sich über ein Thema austauschen, von dem Du kaum bis keine Ahnung hast. Es hat Dich nie sonderlich interessiert oder es ist eben an Dir vorübergegangen. Je länger Du dem Gespräch folgst, desto mehr erkennst Du – und offensichtlich die anderen – wie unbeleckt Du im Thema bist. Das beginnt Dich langsam zu stören, da das Thema für nicht einfach nur abgrundtief langweilig oder definitiv unwichtig ist und Du Dich sogar mit Erleichterung einer anderen Gesprächsrunde anschließt bzw. Dich Buffet und Bar widmest. Du bleibst in der Gesprächsgruppe, da Du das Gefühl hast, mehr wissen zu müssen. Du nimmst den ein oder anderen abfälligen Blick aus der Gruppe zu Dir wahr (Nein, das ist noch kein Mobbing). Zu guter letzt wechselt die Gruppe das Thema. Leider ebenfalls ein Feld in welchem es Dir ergeht, wie beim Vorangegangenen.

Dein Selbstbewusstsein bekommt Schlagseite

So nach und nach merkst Du, wie Dein Selbstbewusstsein zu sinken beginnt und Du Dich immer unwohler fühlst. Der Ausbruch aus der Gruppe oder der Wechsel zu einem Thema in welchem Du punkten kannst gelingt Dir ebenso wenig, wie den gewieften Frager zu mimen, der sich ein neues, interessantes Thema durch das Spielen mit den durch die Gruppe gegebenen Informationen erschließt. Du schaffst es einfach nicht, die anderen als Experten glänzen zu lassen und gleichzeitig Deine Wissenslücken geschickt zu schließen. Heute jedenfalls gelingt es Dir irgendwie nicht.

Du fühlst Dich mies. Du fühlst Dich klein. Wo ist Deine Zuversicht vom Nachmittag, als Du so gelassen in die Zukunft blicktest? Du siehst Dich nur noch im Kontext mit den beiden besprochenen Themen. Es gelingt Dir nicht, Dich selbst im großen Zusammenhang Deines Lebens und all den Themen zu sehen, in welchen Du wirklich gut bist. Sie verblassen oder treten in den Hintergrund vor der Übermacht der beiden für Dich fremden Themen.

Wenn Du Dich so fühlst, unterliegst Du einer Dissonanz. Sie ist das Gegenteil von Resonanz. In Resonanz befandest Du Dich am Nachmittag, als Du mit Dir im Reinen warst. In Dissonanz gelangen wir, wenn wir mit uns selbst nicht mehr in Einklang, im Reinen sind.

Mit sich selbst nicht im Reinen zu sein ist nicht nur schlimm sondern auch wertvoll

Es ist nicht schlimm mit sich selbst nicht im Reinen zu sein, so lange dies nur ein vorübergehender Zustand ist. Denn in Dissonanz mit sich zu sein bedeutet zu lernen. Es bedeutet seinen üblichen Handlungs- und Wissensbereich zu verlassen. Wir nennen unseren Resonanzbereich auch „Komfortzone”. Beginnen wir eine neue Arbeitsstelle, bekommen völlig neue Aufgaben übertragen, kommen in neue Gruppen, lernen ein neues Hobby oder eine neue Sprache usw., sind wir für eine gewisse Zeit immer in Dissonanz.

Wie kommen wir mit uns wieder ins Reine, in Resonanz?

Wir können es uns einfach machen oder wir können den Weg des Wachstums gehen.

Der einfache Weg

Wir begeben uns bei einem Dissonanzgefühl so schnell wie möglich wieder in Themen, Kontakte, Räumlichkeiten, Tätigkeiten (Handy-Zücken), in welchen wir uns sicher fühlen. Die Themen, Menschen und Umstände, die uns vor uns selbst klein wirken haben lassen tun wir als unwichtig oder gar Blödsinn ab. Wir loben uns selbst für unsere guten Taten, unser Wissen und Können. Oder wir entspannen uns und nehmen unsere Unsicherheit als Lernchance wahr, ohne uns jedoch weiter um das Thema zu kümmern.

Es ist völlig in Ordnung den einfachen Weg zu gehen. Schon allein deshalb, weil uns gar nicht jedes x-beliebige Thema interessieren sollte: Bei der Vielzahl an möglichen Themen wäre dies ein Zeichen dafür, eben nicht mit uns selbst in Resonanz zu sein.

Die Gefahr des einfachen Weges besteht in der Selbstgerechtheit.
Um unangenehme Gefühle bei neuen Themen zu vermeiden, ist es das Einfachste das Neue schlecht zu machen. Da entpuppt sich auf Dauer der einfache Weg als ziemlich steiniger: Wir versteigen uns in immer neue Kaskaden der Selbstbestätigung, Beharren auf dem Status quo, der Vergangenheitsverklärung und – ganz besonders fatal – der Schuldzuweisung an andere oder die Umstände. So verunmöglichen wir unsere Selbstentwicklung, die die Grundlage allen Lebens ist: Das Leben selbst will sich verändern und entwickeln. Verweigern wir uns diesem, ist das Selbstmord unter Weiterbeschäftigung mit der Hülle Körper. Selbst zu Stagnieren ist genau genommen bereits ein Rückschritt, denn das Leben um uns herum entwickelt sich weiter. Immer.

Der Weg des Wachstums

Wir betrachten die Umstände und Themen die uns verunsichern wie von höherer Warte aus. Wir sehen sie im Zusammenhang mit unserem gesamten Leben, unserem Wissen und Können. Dies können wir an jedem Ort und zu jeder Zeit tun. Dann suchen wir für uns die Vorteile, welche uns neues Wissen und Können bieten kann. Nun fällt es uns leicht, uns neue Themen zu erschließen und wir haben sogar Lust dazu, was die Lerngeschwindigkeit deutlich erhöht. Wir erleben uns selbst als fähig und aktiv gestaltend. Dieses Verhalten reduziert die Häufigkeit an Situationen, in welchen wir Dissonanz wahrnehmen kontinuierlich. So lange, bis sie nicht mehr als Dissonanz wahrgenommen werden. Sondern eben als das was sie sind: neue Themen, neue Menschen, neue Umgebungen, neue Umstände, neue Bewegungen usw.
Das Leben selbst eben.

Aus Dissonanz wird Resonanz

In der höchsten Form der Selbstentwicklung streben wir aktiv danach Dissonanzen zu erleben und gleichzeitig nicht. Dabei erleben wir die Dissonanz sogar als Resonanz: Die Veränderung an sich wird zur Normalität. Allerdings wird sie nicht zum Selbstzweck. Sie folgt dem Ziel der Ent-Wicklung aus überholten Mustern.
In „gefühlten Hochphasen” wissen wir um diese und auch dass diesen „gefühlte Tiefphasen” folgen müssen. Und umgekehrt. Wir lassen uns deshalb weder vom einen noch vom anderen emotional hinweg reißen oder gefangen nehmen. Im Gegenteil: Wir genießen was ist und sind uns der Veränderung gelassen bewusst, die unweigerlich kommen wird. Sofern wir uns dafür öffnen und so für Neues den Resonanz-Boden bereit halten.

Kontraphobisches Verhalten ist nur Schein-Resonanz

Nehmen wir allerdings einen ständigen Hunger nach immer weiteren starken Reizen bei uns wahr, die uns gar die Adrenalinschauer durch den Körper jagen, deutet dies eher auf kontraphobische Abwehr (Verhalten) hin: Wir sind in unserem Urvertrauen so stark verunsichert, dass wir uns unser Vertrauen in unsere eigenen Fähigkeiten (und die Welt) immer wieder aufs Neue und in neuer Intensität beweisen müssen. Erst dann fühlen wir uns wohl und „bei uns angekommen”.

Gute Zeit & Viele Grüße!

Jörg Romstötter

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Meine Hilfestellungen zur Selbstführung und damit zur Führung anderer, erscheinen nicht immer leicht in ihrer Umsetzung. Wobei sie sich gerne offenkundig plausibel, „einfach” und eingängig lesen. Diese Vorgehensweisen, werde in ihrer Umsetzung sowohl als äußerst einfach und äußerst schwierig empfunden. Je nachdem, welche Qualität innere „Arbeit” jemand schon mit sich angestellt hat. Selbstführung beginnt mit der Selbst-Begegnung. Ohne sie ist jede erlernte Vorgehensweise lediglich vordergründiges Tun und funktioniert nur rudimentär: Wir werden als „Tool-Anwender” entlarvt.

Selbst-Begegnung ist ein Stufenprozess: Wer eine „Stufe” erreicht hat, sieht sich unmittelbar mit der nächsten konfrontiert. Wer keine „Stufen” erkennt, ist nicht etwas schon „angekommen” oder gar „fertig”. Der sieht lediglich (unbewusst) von der nächsten Stufe weg. Was natürlich auch völlig ok ist.

Eine der wirksamsten Möglichkeiten zur Selbst-Begegnung und gleichzeitig zur Selbstführung ist seit jeher die Natur. Und dabei im Besonderen das Alleinsein draußen. Sich selbst ein wenig zuhören inmitten der weitenden, klärenden, stärkenden und erdenden Natur, ist ein ganz besonderes Geschenk. Ich wünsche Dir und mir den Mut, dass wir uns dieses Geschenk immer wieder machen.